Gudrun Kauck: Phantom der Oper, Gaston Leroux, Susan Kay, A.L.Webber, Charaktere: Erik,

indische Lasso, Spiegelkabinett
Die Charaktere aus „Das Phantom der Oper“:

Erik (das Phantom)

 

 

Immer wieder werde ich gefragt:

 

  • Wer ist eigentlich das Phantom der Oper?
  • Wer ist dieser Erik?
  • Hat er wirklich gelebt?
  • Wie war er? – wie muss ich ihn mir vorstellen?

 

Ich will einmal versuchen, wenigstens einen Teil dieser immer wieder auftauchenden Fragen zu beantworten. Ich muss aber darauf hinweisen, dass dies keine wissenschaftliche Untersuchung ist, sondern meine ganz persönliche, sehr subjektive Meinung! Da es abweichende Darstellungen der Figur gibt, habe ich die verschiedenen Versionen einmal zusammen gestellt:

 

  1. Das Phantom bei Gaston Leroux
  2. Das Phantom bei Susan Kay
  3. Das Phantom bei A.L. Webber
  4. Meine ganz persönliche Meinung J
  5. Können wir von Erik etwas lernen?

 

 

1. Das Phantom der Oper –

 im Roman von Gaston Leroux

 

Eine Beschreibung der Figur aus dem Roman müsste in etwa lauten:

Ein schrecklich entstelltes Wesen, das in den unterirdischen Gewölben der Pariser Oper wohnt. Von Geburt an entstellt, ist es zu einem Leben in der Dunkelheit und im Verborgenen gezwungen. Im Opernhaus erlebt es einen kleinen Teil der Welt von draußen mit. Durch geheime Türen und Durchgänge überwacht es die Abläufe im Opernhaus und verschafft sich durch sein Wissen auch Geld: er erpresst die Direktoren als „O.G.“ (Operngeist) und sichert sich so seinen Unterhalt.

Er verfügt über besondere Begabungen im Bereich Architektur, Magie und Musik. Sein unterirdisches Versteck hat er mit Falltüren und einem geheimnisvollen Spiegelkabinett (das absolut tödlich zu sein scheint) gesichert.

Bei sich trägt er immer das „Indische Lasso“, eine Tiersehne mit zwei Hölzchen an den Enden, die fast unsichtbar ist und den Opfern,  von hinten um die Kehle geschlungen, keine Abwehrmöglichkeit bietet. Deshalb auch der Hinweis: „Die Hand muss in Augenhöhe sein…“, denn nur so besteht noch eine kleine Chance, dem Lasso zu entkommen, indem der Arm praktisch die Kehle schützt. Er handelt absolut skrupellos, obwohl nicht alle Vorgänge wirklich geklärt werden können.

Um nicht gesehen zu werden, kleidet er sich in schwarz – mit Hut und Umhang. Eine Maske verdeckt sein entstelltes Gesicht, das als eine Art Totenschädel beschrieben wird. Das Alter dürfte im Roman zwischen 40 und 50 einzuordnen sein.         

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2. Erik – im Roman von Susan Kay

 

Von Geburt an entstellt, wächst der kleine Erik bei seiner Mutter auf, die ihr Kind zu schützen versucht, indem sie ihm passende Masken für sein Gesicht näht. Sie hasst ihn aber zugleich und stößt ihn zurück, weil er ihr ein normales Leben unmöglich macht. Erik muss aber auch schon früh erfahren, dass ihn mit seinem entstellten Gesicht niemand lieben kann. Er wirkt auf alle Menschen abstoßend. Er liebt seine Mutter über alles und versucht mit allen Mitteln ihre Liebe zu erringen – sie weist ihn immer wieder zurück und gibt ihn später sogar weg.

Er geht mit Zigeunern weg, weil er denkt, dass er in einer so großen Gruppe untertauchen kann – aber er wird wieder enttäuscht und als Monster ausgestellt. Die Rolle übernimmt er dann auch selbst, weil er  damit seine äußerst sensible Seele schützen kann.

In seinem Leben lernt er nur wenige Menschen kennen, die hinter seine Maske schauen dürfen – obwohl er diese niemals abnimmt. Er besitzt eine sehr schöne Stimme, musische Begabung und eine ganz besondere Ausstrahlung, die sein entstelltes Äußeres sehr schnell vergessen lässt. Außerdem  ist er sehr wissbegierig und lernt sehr schnell. Besonders scheint es ihm die Architektur angetan zu haben und er entwickelt sich zu einem wahren Meister.

Auf seinen Reisen – besonders nach Persien – bildet er sich weiter. Er liebt Menschen – besonders die Kinder  - und hilft, wo er kann – aber der verachtet jene Menschen, die ihm Leid antun – die er hasst mit brutaler Härte und scheut auch nicht vor Mord zurück.

Wieder zurück in Paris hilft er Meister Garnier beim Bau des Pariser Opernhauses – und aus diesem Grund kennt er sich auch so gut in den unterirdischen Gewölben aus. Eigentlich will er sich in das unterirdisches Versteck zurückziehen und in Ruhe leben – ungesehen von der Umwelt.

Aber hier lernt er dann auch die Liebe seines Lebens kennen: Christine Daaé, das Waisenkind, das in der Garde du Ballett der Oper ausgebildet wurde. Ihm ist bewusst, dass sie ihn nie würde lieben können – aber er weiß um den Zauber seiner Stimme. Schnell erkennt er ihr Talent und gibt ihr heimlich Unterricht, indem er sich als Engel der Muse ausgibt, aber immer unsichtbar bleibt. Der Vater von Christine war früh verstorben und hatte ihr auf dem Totenbett versprochen, dass der Engel der Muse sie beschützen würde. Christine glaubt im Phantom ihren Engel der Muse gefunden zu haben und vertraut ihm, obwohl sie ihn nie zu Gesicht bekommen hat. Die Beziehung zwischen Christine und Erik hat den Hauch von Überirdischem. Er liebt sie und überwacht eifersüchtig jeden ihrer Schritte.

Alles ändert sich, als der neue Sponsor der Oper bekannt wird: Raoul de Chagny – ein Jugendfreund von Christine. Der verliebt sich in die schöne junge Dame mit der wundervollen Stimme und zieht sich damit den Unmut und den Hass des Phantoms auf sich. Erik kann mit seinen Gefühlen plötzlich gar nicht mehr umgehen und wird unberechenbar. Er tötet Bühnenarbeiter, entführt Christine, und er richtet seinen ungezügelten Hass auch auf die Konkurrenz von Christine, die Primadonna Carlotta. In seiner Wut lässt er sogar den Kronleuchter herunterstürzen und richtet damit großen Schaden an.

Nur Christine scheint ihn zu verstehen. Sie hat auch die andere Seite von Erik kennen gelernt und weiß, dass hinter dem Ungeheuer auch ein sensibler, äußerst empfindsamer Mensch steckt. Trotzdem hat sie immer ein bisschen Angst vor ihm. Aber sie hat auch Mitleid mit ihm und eine tiefe Liebe, die sie selbst erst später erkennt.

Weiter als in jeder anderen Geschichte, geht die Beziehung von Christine und Erik, obwohl wir auch bei Susan Kay nie erfahren, was wirklich hinter der verschlossenen Tür passiert ist. Christine liebt Erik und er liebt Christine. Er erkennt aber auch, dass ein Leben mit ihm unter der Oper nicht möglich sein wird. Er gibt sie schließlich schweren Herzens frei und sie heiratet Raoul. In ihrem Herzen weiß aber Christine ihr ganzes Leben lang, dass sie nur Erik geliebt hat.

Woran starb Erik denn eigentlich? An gebrochenem Herzen? An seinen Verwundungen? An seinen Entstellungen? – oder lebte er gar weiter und hat auch weiterhin als „Engel der Muse“ über seine Christine gewacht?

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3. Das Phantom der Oper – im Musical von A.L.Webber

 

Webber lehnt seinen Phantom-Charakter stark an die Original-Vorlage an. Durch die Musik sind ihm aber andere Möglichkeiten gegeben, diesen Charakter darzustellen – oder besser: auch er lässt wieder vieles offen, das dann im Auge des Betrachters liegen darf. Leider ist das in dem Film von 2004 schon wieder anders. Da werden alle Geheimnisse gelüftet und der Story ein großer Teil von der Mystik genommen.

 

Christine kennt das Phantom der Oper als einen Lehrer, der sich als ihr „Engel der Muse“ um sie kümmert – mehr ist bis dahin nicht zwischen den beiden. Er versucht ihr die Hauptrolle in der neuen Oper zu verschaffen, indem er ungeklärte „Unfälle“ passieren lässt, die die Primadonna Carlotta verschrecken und vertreiben sollen. Das ist ihm auch gelungen und Christine erhält die Hauptrolle in einer Neuinszenierung.

Da taucht Raoul als Mäzen der Pariser Oper auf, sie erkennt ihn als ihren Freund aus Kindertagen und er verliebt sich prompt in das schöne Mädchen mit den wundervollen Stimme. Das ruft natürlich die Eifersucht des Phantoms auf den Plan. Er hat sie schließlich ausgebildet und ihr die Stimme gegeben, in die sich Raoul nun verliebt hat. 

 

Nach einer gelungenen Vorstellung will Raoul Christine ausführen, aber das vereitelt das Phantom, indem er sie in sein unterirdisches Reich entführt und sich zum ersten Mal in Person zeigt. Christine ist vom „Engel der Muse“ gleichzeitig fasziniert und beängstigt. Als er ihr sein Lied der „Musik der Nacht“ singt, zeigt er sein anderes Wesen – sehr verletzlich und auf der Suche nach Liebe. Nur weiß er denn überhaupt, was Liebe ist? Er spricht immer nur davon, dass er sie für seine Musik braucht – auch wenn seine Bewegungen und die Interpretation des Liedes etwas anderes vermuten lassen.

Als Christine am nächsten Tag erwacht und ohne Angst hinter seine Maske sehen will, macht er wieder dicht. Er ist wieder das verletzte Wesen, das sich durch Drohungen und Gewalt zu schützen versucht. Er bringt Christine zurück, ohne ihr etwas angetan zu haben.

Raoul spielt sich zum Retter von Christine auf, was das Phantom noch wütender macht. In geheimnisvollen Briefen droht er nicht nur den Direktoren der Oper und Raoul, sondern auch Carlotta und Piangi. Alles hier im Opernhaus hat nach seinem Willem zu geschehen.

Man widersetzt sich seinen Anordnung und lässt weiterhin Carlotta als Primadonna auftreten. Die Wut des Phantoms wird unberechenbar. Er nimmt Carlotta daraufhin die Stimme, sodass die nur noch quakend singen kann. Christine hat Angst und flüchtet vor dem Phantom auf das Dach der Oper – Raoul ist bei ihr und will sie beschützen. Als Christine Raoul ihre Liebe gesteht, steht das Phantom hinter der Apollo-Figur und hört alles mit. Schmerz, Wut, Verzweiflung  - er weiß nicht mehr weiter und droht allen und unterstreicht seine Drohung, indem er den Kronleuchter der Oper herunterfallen lässt.

 

Lange Zeit hat man das Phantom dann nicht mehr im Opernhaus gesehen. Man ist glücklich und feiert einen ausgelassenen Maskenball, als plötzlich das Phantom, als „Roter Tod“ verkleidet, erscheint. Noch immer zieht er Christine magisch in seinen Bann und er erkennt auch sofort, dass sie sich heimlich mit Raoul verlobt hat. Wütend  fordert er die Direktoren auf, seine selbstgeschriebene Oper aufzuführen – mit Christine in der Hauptrolle.

Christine ist verzweifelt und geht zum Grab ihres Vaters. Sie hat Angst und ist trotzdem wieder gefangen von dem „Engel der Muse“, der ihr auch hierher gefolgt ist. Gerade führt er sie mit unsichtbarer Hand, als Raoul auftaucht und sich wütend zum Kampf stellt. Das Phantom erklärt daraufhin allen den Krieg. Man will ihn überlisten und eine Falle stellen – aber Christine soll als Köder dienen.

Das Phantom räumt einen letzten Kontrahenten aus dem Weg und steht nun selbst Christine auf der Bühne gegenüber – noch unkenntlich durch einen Umhang. Seine wundervolle Stimme verführt Christine erneut und sie ist schon fast wieder willenlos, als sie sich an ihre Aufgabe erinnert und ihm die Maske vom entstellten Gesicht reißt. Verzweifelt steht das Phantom da, Mitleid erregend seine Klage und sein Geständnis, dass er Christine liebt. In dem Moment wollen Raoul und die Direktoren zuschlagen, aber das Phantom kann im allerletzten Moment entkommen – er reißt Christine mit sich.

Dann stehen sie wieder in seinem Verlies – er völlig verzweifelt und von seinen Gefühlen überwältigt, sie nicht wissend, wohin sie gehört und doch magisch angezogen von diesem entstellten Mann und Raoul – naiv, aber entschlossen Christine zu retten, auch wenn es sein eigenes Leben kosten würde.

In seiner Verzweiflung stellt das Phantom Christine vor die Wahl, entweder für immer bei ihm zu bleiben und Raoul damit das Leben zu retten oder hier zu entkommen und somit Raoul zu töten.

Das Phantom ist geschwächt von den Kämpfen der letzten Monate und als Christine ihn dann aus Mitleid küsst, gerät seine Gefühlswelt auch noch völlig durcheinander. Er erkennt aber doch, dass er ihr Leben nicht zerstören will und entlässt sie letztlich zusammen mit Raoul in die Freiheit.

Das Phantom verzichtet auf diese einzigartige Liebe und zerbricht daran. Ohne sie will auch er nicht mehr leben.....

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4. Meine persönliche Meinung:

 

Wenn man sich viel mit dem Thema befasst, bildet man sich natürlich eine eigene Meinung. Die Figur des Phantoms der Oper, Erik, ist eine der interessantesten Romanfiguren, die mir bisher begegnet ist. Eigentlich erzählt Leroux selbst ja gar nicht so viel über seinen Protagonisten, aber gerade das scheint das Interesse geweckt zu haben. Sehr beeinflusst hat mich der Roman von Susan Kay, die in ihrer „Biografie“ die Lücken gefüllt hat, die der Roman von Leroux und der Film mit Lon Chaney noch offen gelassen hatten.

 

Ich sehe ihn so:  

Erik (einen Nachnamen gibt es nicht) ist ein großer, stattlicher Mann, zwischen 40 und 50 Jahren alt, immer elegant gekleidet, sehr belesen, liebt Musik über alles, komponiert an einer Orgel in seinem unterirdischen Versteck. Seine entstellte Gesichtshälfte deckt er durch eine Maske ab, die sehr aufwändig gearbeitet ist und dadurch fast unsichtbar. Wenn er sein Versteck verlässt, kleidet er sich in einen schwarzen Umhang und einen großen Hut, den er weit übers Gesicht zieht.

 

Sein Begleiter, der Daroga, der ihn seit seinem Aufenthalt in Persien mehr wie ein Freund begleitet, erledigt für ihn Dinge, die er selbst nicht erledigen kann – Botengänge, Einkäufe, Besorgungen u.a. Sein unterirdisches Reich hat er auch mit Hilfe des Daroga ausgestattet – sehr prunkvoll und eigentlich schon fast ein Mausoleum für seine Mutter, die er über alles geliebt hat – obwohl auch sie ihn nie berührt hat und ihn wegen seiner Entstellung sogar verstoßen hat.

 

Er ist hochintelligent und hat sich sein Wissen fast alleine beigebracht. Er hat alles gelesen, was er finden konnte und verschiedenen Meistern heimlich auf die Finger geschaut. Auch verfügt er über magische Fähigkeiten, die sich weder wissenschaftlich noch mit gesundem Menschenverstand erklären lassen. Ob es nur an seiner besonderen Fingerfertigkeit liegt oder ob er wirklich zaubern kann, hält er und verborgen.

 

Als er in seine Wohnung unter der Oper einzieht, hat er eigentlich schon mit der Welt abgeschlossen. Er will nur noch seine Ruhe haben, komponieren, alleine sein, die Einsamkeit genießen. Ob er seine Wohnung so geplant hat, dass er den Aufführungen auf der Bühne folgen kann oder ob das nur an der besonderen Bauweise des Gebäudes liegt? Er liebt diese Abende, an denen die schönen Opern auf der Bühne gespielt werden, aber er mag die Stimme der Primadonna Carlotta nicht.

Einmal, lange nach der Vorstellung, hört er eine Stimme, die sein Herz merkwürdig berührt. Er kann nicht länger in seinem Versteck bleiben, will die Dame mit der schönen Stimme sehen – aber er selbst darf ja nicht gesehen werden. Durch versteckte Gänge kann er jeden Punkt im Opernhaus erreichen. Er beobachtet sie heimlich.

 Als er mehr über Christine Daaé, die junge Sängerin, die aber eigentlich nur ein Ballettmädchen ist, erfährt, nutzt er die jugendliche Unschuld des Mädchens aus. Christine ist Waise und ihr Vater, ein berühmter schwedischer Geiger, hatte ihr auf seinem Totenbett versichert, dass der „Engel der Muse“ über sie wachen würde. Als sie zum ersten Mal die sehr angenehme Stimme des Phantoms hört, glaubt sie, der „Engel der Muse“ sei nun wirklich zu ihr gekommen. Um in ihrer Nähe sein zu können, lässt Erik sie in diesem Glauben und gibt ihr heimlich Gesangsunterricht. Christine vertraut ihrem Lehrer und lernt viel bei ihm.

Nun möchte Erik natürlich auch, dass sein Schützling die Rolle der Primadonna übernimmt. Mit immer neuen, noch harmlosen Anschlägen macht er Carlotta das Leben schwer. Als sie aber dann eines Tages von einem schweren Prospekt fast erschlagen wird, verlässt sie wütend die Oper. Christine darf die Rolle übernehmen und wird begeistert umjubelt.

 

Der Zufall will es, dass gerade in dieser Vorstellung der junge Graf Raoul de Chagny anwesend ist. Er erkennt seine Freundin aus Kindertagen wieder, trifft sie in ihrer Garderobe und lädt sie zum Essen ein. Erik sieht in Raoul einen Eindringling, der die Früchte erntet, die er gepflanzt hat. Um sie von Raoul fernzuhalten, entführt er Christine in seine geheime Welt und sie sieht ihn zum ersten Mal. Vor allem aber hört sie zum ersten Mal, dass er nur für sie seine „Musik der Nacht“ singt. Sie verfällt dem Zauber der wunderschönen Stimme, aber sie hat auch Angst vor dem geheimnisvollen Mann mit der Maske.

 

Erik ist hin- und hergerissen von seinen Gefühlen. Christine ist seine Muse, nur für sie schreibt er seine Musik – aber er fühlt mehr für sie und kann es doch nicht zuordnen. Dieses Gefühl kennt er nicht.

 

Als Christine ihm die Maske entreißt und sie sein entstelltes Gesicht sieht, kommt in Erik die Angst wieder hoch, dass er nun wieder zurückgestoßen wird, dass auch Christine so reagieren wird wie seine Mutter. Er bringt sie zu ihrer Garderobe zurück – aber er beobachtet weiterhin eifersüchtig über jeden ihrer Schritte. Christine fühlt sich zu Raoul hingezogen, aber irgendwie auch zu diesem Phantom, das so geheimnisvoll und trotzdem so anziehend wirkte.

 

Erik wird wütend, als die Direktoren seine Forderung ignorieren, Christine die Hauptrolle in der neuen Oper zu geben. Als Carlotta singt, macht er seine Drohung war und nimmt ihr die Stimme. Nur noch ein heiseres Quaken ist zu hören. Christine machen diese Vorkommnisse Angst. Sie will entfliehen und flüchtet mit Raoul zusammen aufs Dach des Opernhauses – Erik folgt den Beiden. Auf dem Dach wird er dann Zeuge, wie Christine und Raoul sich ihre Liebe gestehen. Es zerreist ihm fast das Herz und er leidet unmenschliche Qualen in seinem Versteck hinter der Apollo-Figur. Als die Beiden gegangen sind, schwört er, dass er nun alles zerstören würde – danach ist er für lange Zeit verschwunden.

 

Er hat sich zurückgezogen und seine ganzen Gefühle in eine Oper gesteckt, die er extra komponiert hat. Als ein großer Maskenball stattfindet, kann er verkleidet als „Roter Tod“ dort aufkreuzen und seine neuen Forderungen verkünden. Christine soll die Hauptrolle in „seiner“ Oper erhalten. Den Verlobungsring, den sie heimlich um den Hals trägt entreißt er ihr wütend.

 

Christine ist verzweifelt und sucht Rat und Hilfe am Grab ihres Vaters. Erik folgt ihr und versucht, sie wieder in seinen Bann zu ziehen. Als das fast gelungen ist, taucht Raoul auf und stellt sich Erik in den Weg. Die Männer kämpfen, aber Raoul kann Christine in Sicherheit bringen. Erik schwört Rache – es gibt nun kein Zurück mehr.

 

Man hat Christine überreden können, als Lockvogel aufzutreten und Erik in eine Falle zu locken. Sie soll die Hauptrolle in „seiner“ Oper spielen und da man sicher ist, dass Erik auftauchen wird, will man ihn dann festnehmen.

 

Die Oper beginnt und Eriks Plan scheint zu gelingen. Bezaubert durch die Musik und seine wunderschöne Stimme hat er Christine wieder in seinen Bann gezogen. Er lockt sie mit allen Mitteln der Verführung und sie folgt beinahe willenlos. Die ekstatische Musik „Von nun an gibt es kein Zurück“ begleitet die Szene. Raoul beobachtet alles von der Loge aus und ist der Verzweiflung nahe. Plötzlich aber wird Christine doch wieder bewusst, wen sie da vor sich hat. Sie reißt Erik seine Maske herunter und entblößt ihn. Bemitleidenswert steht er vor ihr, gesteht ihr seine Liebe und schenkt ihr seinen Ring – als die Direktoren und Raoul mit Hilfe der Polizei eingreifen und Erik verhaften wollen. Der flieht geistesgegenwärtig – und zieht Christine mit.

 

Den Verfolgern bleibt keine andere Wahl, sie müssen dem Phantom folgen, um Christine zu retten. Alle sind sich der Gefahr bewusst, denn in den Gewölben unter der Oper gibt es viele von Erik gebaute Falltüren, Spiegelkabinette 1 und Folterkammern. Die größte Gefahr geht aber von dem „Indischen Lasso“ 2 aus, das Erik immer bei sich trägt und das lautlos morden kann.

 

Erik bringt Christine in sein unterirdisches Zuhause. Sie ist inzwischen gar nicht mehr so ängstlich, sondern sie hat erkannt, dass ihr „Engel“ auch verwundbar ist – auch nur ein Mensch? Sie ist wütend, dass er so mit ihr umgeht. Raoul ist ihnen gefolgt und wird von Erik gefangen genommen. Er ist verzweifelt, weil er sieht, dass Christine Raoul liebt. Einen letzten verzweifelten Versuch, sie zu behalten, versucht er noch. Sie soll sich entscheiden, ob sie Raouls Leben retten will, indem sie hier bei ihm bleibt – oder ob sie frei sein will, Raoul aber sterben wird. Nun erkennt Christine, welche Macht sie über Erik hat und wie verzweifelt er sich nach ein bisschen Liebe sehnt.

Sie küsst ihn und zum ersten Mal überhaupt spürt Erik was körperliche Liebe bedeuten kann. Christine ist hin- und hergerissen zwischen Mitleid und Liebe. Mit Erik aber geht etwas Sonderbares vor: er erkennt, dass er Christine ein Leben in der Dunkelheit mit einer entstellten Kreatur nicht zumuten kann. Aus Liebe zu ihr lässt er sie und Raoul frei.

Der Schmerz über diese Erkenntnis, dass er nun endlich geliebt wird, aber diese Liebe nicht halten kann, trifft ihn sehr tief. Er ist verzweifelt und am Ende seiner Kraft. Als Christine dann auch noch einmal auftaucht und erneut seine Hoffnung keimt. Der Schmerz zerreist ihn fast, als sie ihm nur den Ring zurückgeben will, der ihr nun ja nicht mehr zusteht.

Erik zieht sich einsam zurück – ob er noch leben will? – ob er lieber stirbt? Das haben wir leider nie erfahren.

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Können wir von Erik etwas lernen?

Ja, sehr viel sogar. Mit der Romanfigur Erik lernen wir eine Person kennen, die ihr ganzes Leben eigentlich nichts anderes gesucht hat als Liebe. Kaum jemand hat sich die Mühe gemacht und hinter die scheußliche Maske geschaut, wo eine schöne Seele und ein hochintelligenter Mensch verborgen ist. Die Tragik ist, dass er die Liebe seines Lebens dann doch wieder gehen lässt, weil er erkennt, dass ein Leben mit ihm eine zu große Bürde für einen geliebten Menschen ist. Dank seiner im Grunde doch guten Seele und dank der Liebe von Christine hat Erik menschliche Größe gezeigt. Er hat verzichtet, um einen anderen Menschen vor einem schlimmen Schicksal zu bewahren.

 

Vielleicht liegt mir diese Romanfigur so am Herzen, weil man so viel aus ihr lernen kann. Erik zeigt an so vielen Stellen Reaktionen, die wir sicher auch haben würden – hoffentlich aber nicht bis zur letzten Konsequenz (deshalb ist er ja im Roman). Wir sollten aber immer daran denken, dass nicht das Äußere eines Menschen zählt, sondern das, was hinter der Maske verborgen ist. Gerade hinter einer hässlichen Maske können die schönsten Schätze verborgen sein.

 

 

1 Das „Spiegelkabinett“ ist ein sechseckiger Raum, der ringsum mit Spiegeln ausgestattet ist. Durch die Anordnung der Spiegel entsteht die Illusion, dass es eine Tür gibt. Geht man auf diese Tür zu, taucht eine andere auf – das geht unendlich weiter, bis der Gefangene verrückt wird oder verhungert oder sich an dem Ast erhängt, der extra dafür angebracht ist.

 

2 Das „Indische Lasso“ ist eine Tiersehne, die an beiden Enden mit Holzgriffen versehen ist. Legt man dieses Lasso einem Opfer um den Hals, besteht fast keine Möglichkeit mehr zu entkommen. Ein klein wenig Hoffnung besteht nur dann, wenn es dem Opfer gelingt, seine Hand zwischen Lasso und Kehle zu halten und somit den Druck etwas zu mindern.

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